Die Generation der Vaterlosen















Zurück in die Heimat

Wir wohnten in Schliersee beim Herrn Nachtmann. Der lebte in seinem Haus mit seinem Bruder Wickel, der ein bisschen einfältig war. In Nachtmanns Haus waren viele Leute zur Evakuierung eingewiesen worden, worüber Herr Nachtmann wenig erfreut war. Wir lebten in einem Zimmer mit meiner Tante Fanny, die Stiefschwester meiner Mutter, ihrem Sohn Wolfgang, der schon 12 Jahre alt war, und noch einer Frau.


Es gab immer wieder Streitereien um Wesentliches und Unwesentliches. Eines Tages erschien meine Tante Grete, die Schwester meiner Mutter und teilte uns mit, dass mein Vater aus der Gefangenschaft entlassen worden war und wir nach Hause kommen sollten.

Wir waren nicht die einzigen Evakuierten aus dem Ruhrgebiet und so organisierte irgend jemand einen Transport nach Hause. Meinen beiden Tanten gefiel es so gut in Schliersee, dass sie blieben. Tante Grete war ledig und der Mann von Tante Fanny war gefallen. So hatten sie keinen Grund zurück zu fahren. An einem grauen Morgen im Sommer stand dann plötzlich ein LKW vor der Tür, der das Gepäck holen sollte. Am Nachmittag ging dann die Fahrt auf einem offenen LKW mit Holzvergaser nach Nürnberg los. Von dort sollte es mit der Eisenbahn weiter gehen. In Nürnberg stellten wir fest, das unser Koffer aufgebrochen war und die Hälfte des Inhalts fehlte. Der Fahrer erklärte lakonisch, die Gepäckstücke seien ihm vom Wagen gefallen und zerbrochen und dabei müssten wohl Sachen abhanden gekommen sein. Die erste Teilstrecke fuhren wir in einem Viehwagen. Irgend wann in der Nacht ging meine Mutter auf einem Bahnhof los um Wasser zu bekommen. Ich blieb allein zurück. Nach für mich unendlich langer Zeit ihrer Abwesenheit ging ich in den Bahnhof um sie zu suchen. Ich fand weder sie noch meinen Zug und landete bei der Bahnhofsmission. Dort wurde ich dann von meiner Mutter abgeholt. An die Einzelheiten der Irrfahrt kann ich mich nicht mehr erinnern. Die letzte Etappe fand dann in einem Personenzug statt. Der Zug war über und über von Menschentrauben behangen. Wir wurden durch ein Fenster in das Innere des Zuges gehievt. Dort war so wenig Platz, dass ich auf bei meiner Mutter auf dem Schoß sitzen musste. Ich schlief ein und wurde erst wach, als wir in dem Zug in einem Abteil auf einer Bank saßen. Und dann kamen wir in Dortmund an. Als wir aus dem Bahnhof heraus kamen sah ich nur Trümmer und Leute mit Handkarren. Mein Vater hatte zwischenzeitlich eine Wohnung angemietet, in der unser gemeinsames Leben nach den Kriegswirren begann. Mein Vater verstand von dem, was ich erzählte, kein einziges Wort, da ich ein lupenreines Oberbayerisch sprach. Auch meine Spielkameraden verstanden mich nicht. So entschloss ich mich, wieder Hochdeutsch zu lernen. Meinen Großvater, einem geborenen Oberbayern, freute mein Bayerisch natürlich sehr. Später wurde ich Mitglied in seinem Bayernverein und erlernte das Schuhplatteln in einer Plattlergruppe. Die Bindungen nach Schliersee blieben bis zum Tod des Großvaters im Jahr 1980 erhalten.

Rückschau

Aus der engeren Verwandtschaft fielen im Krieg außer Onkel Hansi noch Ludwig Steger, der Mann von Tante Fanny und Erich Klauer, der Mann von Tante Hilde. Tante Hannas Mann, Onkel August und mein Vater kamen relativ unbeschadet zurück. Er hatte allerdings noch einen Granatsplitter im Oberkörper, der nie entfernt wurde. Er starb mit 61 Jahren nach einer langen Krankheit, die sehr spät als Morbus Waldenström diagnostiziert wurde.
Tante Hilde tat sich mit Fritz Grotzki zusammen und Tante Fanny mit Josef Motzko. Man nannte das damals etwas abwertend Onkelehen, weil die meistens noch vorhandenen Kinder die Partner ihrer Mütter Onkel nannten. Aus finanziellen Gründen heirateten die meisten überlebenden Partner nicht. Beide Verbindungen gingen nach fast 30 Jahren in die Brüche.

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