Die Generation der Vaterlosen







Gemeinschaftsleben in der Nachkriegszeit


Spielkameraden







Für uns Kinder spielte sich das Leben auf der Straße und in den Höfen und Gärten ab. Es bestand meistens aus sportlicher Betätigung, allerdings ohne geeignete Geräte. Fußball, anfangs mit Konservendosen oder Tennisbällen, die noch in alten Beständen vorhanden waren. Anfang der 50er Jahre bekam ich eine Fußballhülle zu Weihnachten, ohne Gummiblase. Die wurde mit Stroh gefüllt und das Spielen wurde immer authentischer.

Zur Auffrischung des mageren Taschengeldes wurde für die Nachbarn eingekauft oder im Garten geholfen.



Spielkameraden

In den engen Wohnungen jener Zeit fehlte es oft an Platz und Spielzeug für die Kinder. Nach der Schule und der Erledigung ihrer Hausaufgaben blieb ihnen oft nur die Straße, um sich zu vergnügen und mit ihren Spielkameraden zusammenzukommen.

Auf den ungepflasterten Straßen tobten sie herum, improvisierten Spiele und nutzten ihre Kreativität, um aus einfachen Materialien Spaß zu haben. Fußball wurde gespielt, wobei große Steine die Tore markierten und eine leere Kondensmilchdose als Ball diente. Aus Ästen wurden Hockeyschläger und Bögen für spannende Bogenschießwettkämpfe gebastelt.

Neben diesen traditionellen Spielen wagten sich die Kinder auch an riskantere Aktivitäten. Das Messerwerfen mit Haushaltsmessern und das Zielwerfen mit Steinen verlangten Geschicklichkeit und Mut. Ringkämpfe und Boxkämpfe wurden ausgetragen, oft ohne jegliche Schutzausrüstung, und die Kinder lernten dabei den Umgang mit körperlicher Herausforderung und Fairness.

Die Straßen wurden zum Schauplatz für Spiele wie Räuber und Gendarm, Versteckspiele und aufregende Wettrennen. Eine Schnitzeljagd durch die Nachbarschaft brachte Spannung und Abenteuer in den Alltag der Kinder. Trotz der einfachen Mittel und der beschränkten Ressourcen fanden sie Wege, sich zu amüsieren und unvergessliche Erlebnisse zu schaffen, die ihre Kindheit prägten.

Höhepunkte unserer Freizeit gab es, wenn wir Nachbarschaftshilfe leisten konnten und gleichzeitig ein wenig zusätzliches Geld verdienen konnten. Solche Arrangements waren eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Es fördert die Gemeinschaftsbindung und unterstützt gleichzeitig diejenigen, die möglicherweise Hilfe bei Gartenarbeiten oder Einkäufen benötigen.



Volksschule

In den Nachkriegsjahren, genauer gesagt in Dortmund im Jahr 1946, prägte eine Zeit des Wiederaufbaus und der Entbehrungen das Schulleben. Die Schulen waren überfüllt, mit bis zu 50 Kindern pro Klasse. In den kalten Wintermonaten waren die Klassenräume nur unzureichend beheizt, und die einzige Wärmequelle waren oft alte Kohleöfen. Bergmannskinder, die mit den harten Bedingungen der Kohlegewinnung vertraut waren, brachten Kohle von zu Hause mit, um die Öfen zu befeuern und die Klassenräume zu erwärmen.

Die Situation der Kinder war oft prekär. Viele litten unter Unterernährung, was zu gesundheitlichen Problemen führte. Um diesem entgegenzuwirken, wurde die sogenannte Schwedenspeisung eingeführt, benannt nach dem Land, das während des Krieges humanitäre Hilfe leistete. In anderen Orten wurde diese Maßnahme auch als Quäkerspeisung bekannt, benannt nach den Quäkern, die ebenfalls humanitäre Unterstützung leisteten. Diese Programme versorgten die Kinder mit zusätzlicher Nahrung, um ihre Ernährung zu verbessern und ihre Gesundheit zu stärken.

Zusätzlich zur Ernährung wurden den Kindern regelmäßig Lebertran verabreicht, um ihr Immunsystem zu stärken. Lebertran galt damals als wichtige Quelle für Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren, die gerade in den winterlichen Monaten zur Vorbeugung von Krankheiten als essenziell angesehen wurden.

Um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen, wurden Reihenimpfungen gegen Pocken durchgeführt. Diese Impfungen waren ein wichtiger Schritt zur Prävention und wurden von den Gesundheitsbehörden aktiv gefördert.

Zusätzlich wurden Röntgenuntersuchungen auf Tuberkulose durchgeführt, um frühzeitig Krankheitsfälle zu erkennen und zu behandeln. Diese Maßnahmen waren Teil eines umfassenden Ansatzes, um die Gesundheit und das Wohlergehen der Kinder in einer Zeit großer Herausforderungen zu schützen und zu fördern.


Ein Bild aus der Zeit zeigte mir, dass wir in der ersten Jahren mit mehr 50 Kindern in einer Klasse unterrichtet wurden. In den kalten Monaten wurde der Klassenraum mit einem Ofen geheizt. Das Heizmaterial brachten meistens die Bergarbeiterkinder von zu Hause mit. Gut erinnern kann ich mich an die Schwedenspeisung, beim denen dann auch Lebertran verabreicht wurde und an die Röntgenuntersuchungen. Und Reihenimpfungen Die Schule und unsere Wohnung war in der Nähe des Krankenhauses. Anfangs war es das Militärkrankenhaus für die englischen Soldaten, später gab es auch eine Isolierstation für Kinder. Einige meiner Spielkameraden und Mitschüler starben an Diphterie.


Gebirgstrachten-Erhaltungsverein Almrausch Dorstfeld von 1919














Kinder-Plattlergruppe

Mein Großvater war 1919 Gründungsmitglied des Vereins. Die Gründer kamen aus Oberbayern, mein Großvater wurde 1890 in Hausham Kreis Miesbach geboren. Er stammte aus einer Bergarbeiterfamilie, deren Männer auf der Pechkohlenzeche in Irschenberg arbeiteten. Nach der Stillegung der Zechen in Oberbayern gingen viele der Bergleute ins Ruhrgebiet und begannen dort ein neues Leben. Sie trafen sich in den Gebirgstrachten-Erhaltungesvereinen oder den Bayernvereinen zur Geselligkeit und Pflege des bayerischen Brauchtums. Nach der Machtergreifung der Nazis sollten sie sich gleichschalten lassen, was aber die meisten, wie mir mein Großvater erzählte, der seinerzeit Vorsitzender des Dorstfelder Vereins war, nicht taten und während der Nazizeit deshalb geschlossen wurden. Das führte nach dem Krieg dazu, dass diese Vereine die ersten waren, denen die Besatzungsbehörden gestatteten, ihren Vereinsbetrieb wieder aufzunehmen-

Ich wurde Mitglied der Kinder-Trachtengruppe und bereiste zu Wettbewerben der Plattlergruppe das Ruhrgebiet. Im Jahr 2019 feierte der Verein sein 100 jähriges Bestehen.

Nachbarschaft

In der Nachbarschaft herrschte in den Nachkriegsjahren ein starkes Gefühl der Solidarität und Zusammengehörigkeit. Notgemeinschaften bildeten sich, und die Menschen halfen sich gegenseitig nach besten Kräften. Jeder trug gemäß seinen persönlichen Möglichkeiten dazu bei, das Wohl der Gemeinschaft zu sichern.

Der Umgang mit dem Eigentum war von großer Wertschätzung geprägt. Trotz der knappen Ressourcen wurde darauf geachtet, dass nichts verschwendet wurde, und man half einander, wenn jemand in Not war.

Gelegentlich fanden gemeinsame Feste statt, die nicht nur zur Freude und Entspannung dienten, sondern auch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkten. Bei solchen Festen wurden manchmal Hausschlachtungen von Schweinen, Hühnern und Kaninchen durchgeführt, auch wenn sie offiziell verboten waren. Die Kinder beobachteten diese Vorgänge mit Neugier und lernten dabei den Umgang mit den Tieren und die Traditionen der Gemeinschaft kennen.

Der Tausch von Gütern war eine gängige Praxis, um die Bedürfnisse zu decken, die nicht durch Geld bezahlt werden konnten. Lebensmittel, Kleidung und andere Güter wurden unter den Nachbarn getauscht, um alle mit dem Nötigsten zu versorgen.

Handwerker wurden oft mit Naturalien bezahlt, da Bargeld knapp war. Die Menschen boten Lebensmittel oder andere Waren als Entlohnung für ihre Dienstleistungen an.

Besonders die Bergleute erhielten zusätzliche Unterstützung in Form von Carepaketen, Frühstück und Alkohol von der Zeche. Diese Güter wurden nicht nur konsumiert, sondern oft auch getauscht oder mit anderen Nachbarn geteilt, um die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu erfüllen.

Wir wohnten in der 3.Etage eines Mietshauses. Der Flur war Eingangsbereich und Abstellraum für 4 Familien. Die Wohnungen hatten weder einen Wasser-noch einen Abwasseranschluss. Ver- und Entsorgung der Flüssigkeiten erfolgte über ein Wasserhahn mit Ausguss auf halber Höhe zwischen dem 2. und 3. Stockwerk. Dadurch war die Kommunikation mit den Nachbarn gesichert. So weit es ging, half man sich schon, aber die Möglichkeiten waren eng begrenzt.

Kinderkur auf der Insel Norderney











Wegen zu geringem Körpergewicht für meine Körpergröße bekam ich eine Kinderkur auf Norderney. Sie dauert 6 Wochen und der Kurerfolg wurde entsprechend der Gewichtszunahme gemessen.

In den 50er Jahren des vorigen Jhdrt. war Norderney, eine Insel in der Nordsee, ein Zufluchtsort für Kinder aus dem Ruhrgebiet, die unter den Folgen der Nachkriegszeit litten. Die Knappschaft organisierte Kinderkuren auf der Insel, um Unterernährung zu bekämpfen und die Atemwege zu stärken, die durch die schlechte Luftqualität in ihrer Heimat belastet waren. Diese Kuren dauerten in der Regel sechs Wochen und wurden getrennt nach Jungen- und Mädchenkuren durchgeführt.

Die Kinder wurden, dem Zeitgeist gemäß, strengen Regeln unterworfen, die ihr Verhalten, ihre Aktivitäten und ihr Essverhalten betrafen. Disziplin und Ordnung wurden großgeschrieben, und die Aufsichtspersonen erwarteten absolute Einhaltung dieser Regeln. Jeder Verstoß wurde ernst genommen und mit Strafen geahndet, die von Ermahnungen bis hin zu drastischen Maßnahmen wie dem Einsperren reichten.

Die täglichen Abläufe waren straff organisiert, und den Kindern wurden klare Zeitpläne auferlegt, die von Aktivitäten im Freien bis hin zu Mahlzeiten und Ruhezeiten reichten. Diese Struktur sollte nicht nur zur Erholung beitragen, sondern auch dazu dienen, den Kindern gesunde Gewohnheiten beizubringen und sie zu stärken, sowohl körperlich als auch geistig.

Trotz der strengen Disziplin und der rigiden Regeln boten diese Kuren den Kindern eine Möglichkeit, dem tristen Alltag im Ruhrgebiet zu entfliehen und neue Kraft zu schöpfen. Sie erlebten eine Zeit der Gemeinschaft und Erholung, die ihnen half, gestärkt in ihre Heimat zurückzukehren.

Zurück

Kontakt: jogihill@brinksmanship@mastodon.social